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1. Eiche
Klatschbasen – wie die Märcheneiche zu ihrem Namen kam und andere Geschichten.
Wem gehört dieser Picknickkorb?
Dem Grünseelchen!
Wer ist das denn?
Sie ist ein Waisenkind, das in Lohrhaupten von ihren Großeltern aufgezogen wurde, kennst du es nicht?!
Komischer Name!
Ihr richtiger Name ist ja auch Lisa-Marie.
Und warum dann „Grünseelchen“?
Na, sie ist halt eine ganz Besondere, den Namen hat ihr eine Pfarrerin verpasst.
Wie das?
Das ist eine lange Geschichte. Viele hier kennen sie wahrscheinlich. Wer sie noch nicht kennt, der kann einmal den Grünseelchenweg gehen und sie sich ausführlich erzählen lassen.
Die Kurzfassung?
Ja gut. Also… Lisa-Marie ist ein absoluter Naturfan. Und in in unserer schönen Natur hier rund um Lohrhaupten herrscht welche Farbe vor?
Hmm, … Grün!
Ja, richtig. Und Lisa Marie liebt alles Grüne, angefangen von den saftigen Wiesen, über die flinken Grashüpfer und die würzigen Kräuterbrötchen ihrer Großmutter bis hin zu den dunklen Wipfeln der Fichten und den lindgrünen Blätterdächern der Laubbäume.
Aha, deshalb also das „Grün“ in ihrem Namen!
Richtig.
Und der zweite Teil ihres Namens?
Abgesehen davon, dass sie ein durchaus empfindsames „Seelchen“ ist, hat sie eben diese besondere Begabung…
Hört sich ja mystisch an…
Das ist es tatsächlich. Lisa-Marie kann sich nämlich mit den Seelen der Bäume unterhalten. Deshalb kam sie zu ihrem Namen: „Grünseelchen“.
Lied: Grünseelchensong
Jetzt ist hier immer noch der Picknickkorb! Was hat es nun damit auf sich?
Ach so… ein „Sonntagsspaziergang mit Picknick“ führte Grünseelchen unlängst zur Märcheneiche oben in der Steinau.
Wieso ausgerechnet „Märchen“eiche?
Soviel ich erfahren habe, waren der frühere Förster von Lohrhaupten, Horst Müller, und die damals ortsansässige bekannte Künstlerin und Kulturbeauftragte von Lohrhaupten, Beate Hübner, ihre Taufpaten. Beide sind leider schon verstorben.
Bei einem Gang durchs Revier traf der Förster also zufällig auf Beate Hübner. Sie stand, ganz in Gedanken versunken, unter dem Blätterdach der damals noch stattlichen Eiche, den Blick auf den Stamm und seine geheimnisvolle Höhlung gerichtet. Ihr Künstlerinnenauge erkannte in der borkigen Rinde Märchenfiguren, Rumpelstielzchen vielleicht? Künstlerin und Förster waren sich einig: „Das kann nur eine „Märcheneiche“ sein“. Und so verbreitete sich der Name für den geheimnisumwitterten Baum weithin. Bis zum heutigen Tag ist der alte Baum nur noch die „Märcheneiche“.
Und was passierte nun bei Grünseelchens Picknick unter der Märcheneiche?
Nun, Frau Eiche, wie Grünseelchen ihre Baumfreundin nennt, war an diesem Sonntag nicht alleine. Es war der Tag des „Seelenzirkels“.
Aha??
Wir würden vielleicht sagen: ein „Gesprächskreis“, nur eben mit ganz besonderen Teilnehmern.
Ich will es mal so erklären:
Die Seelen aller Bäume von Lohrhaupten treffen sich regelmäßig abwechselnd in einem ihrer Baumwirte. Dort im Geäst flüstern und wispern und raunen sie sich Geschichten zu, die sich irgendwann einmal unter dem Kronendach ihrer Bäume ereignet hatten. Baumseelen können richtige Klatschbasen sein, das kannst du mir glauben! An diesem Sonntag war die Märcheneiche Gastgeberin des Seelenzirkels.
Aha, und Grünseelchen war willkommener Gast, ich verstehe.
Ja, und ob! Die ganze Geschichtenflüsterei brachte Grünseelchen dann auf eine phänomenale Idee:
Sie würde die Geschichten aufschreiben für alle Menschen, die nicht wie sie die Baumseelen hören können.
Jetzt ahne ich auch, was das für ein Heft ist!
Hier steht es ja sogar: „Der Seelenzirkel der Bäume – Geschichten von, mit und über Lohrhaupter Urgewächse“.
Übrigens – die Märcheneiche hat ein für Bäume ungewöhnliches Hobby: Tanzen! Und welches ihr Lieblingstanz ist, werden wir am Ende unseres Spaziergangs auflösen.
Jetzt möchten wir einige der Geschichten mit Ihnen teilen, die Grünseelchen beim „Seelenzirkel der Bäume“ festgehalten hat.
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2. Birnbaum
Zuckerbirnen und Sirenen
Gute Nachbarschaft
Es war gegen Ende oder vielleicht kurz nach dem Krieg, da stand ein alter Birnbaum im Schulhof. Damals hieß es noch Schulhof, denn das Gebäude, das damals hier stand, war vormals das Schulhaus. Wir nannten es die „alte Schule“. Als das neue Schulgebäude am Mühlberg gebaut worden war, zog in die „alte Schule“ das Bürgermeisteramt ein. Heute steht an diesem Platz das später neu erbaute Rathaus. Oben waren Wohnungen eingerichtet. Auf der einen Seite wohnte die Försterwitwe, Frau Weibert, und auf der anderen Seite die Rupprechts Anna mit ihren drei Kindern. Das war meine Familie. Unten, wo heute der Anbau des Rathauses steht und auf der halben Fläche des heutigen Hofplatzes, befand sich damals ein Garten. Es war ein schöner Garten. Und in dem Garten, nicht weit von der Burngasse stand ein Birnbaum. Der Birnbaum war schon alt und es wuchsen Zuckerbirnen auf ihm. Ja, der hat reichlich getragen und wir hatten eine gute Nachbarschaft. Die „Laubens“, die „Stumbe“, … und im Herbst, wenn der Baum geschüttelt wurde, da kamen alle zusammen. Sie kamen mit ihren Schürzen und, was weiß ich, was sie noch alles benutzten zum Auffangen der Birnen. Jeder hat sich so viele Birnen genommen, wie er wollte und hat die Birnen eingemacht. Es gab auch keinen Neid oder Missgunst oder dergleichen. Die Birnen schmeckten zuckersüß, waren aber ziemlich klein, doch das war uns egal. Von den Birnen aßen die Leute den ganzen Winter und den halben Sommer lang. Das war schon ein kleines Fest, wenn der Birnbaum geschüttelt wurde und alle zusammen kamen. Es wurde viel gelacht und viele Witze gemacht. Wie es halt so geht, wenn man sich in der Nachbarschaft gut versteht. Wir Kinder haben das auch sehr genossen…
Feueralarm
Damals nach dem Krieg gab es in Lohrhaupten weder ein Feuerwehrauto noch war eine Sirene auf dem Dach installiert. Wenn es brannte, war die „Schönersch Lúis“ gefragt (man hat damals ja nicht Luise gesagt, sondern Lúis). Sie wohnte unten in der Rathausetage. Die Lúis holte sich dann schnell die Handsirene. Diese muss man sich folgendermaßen vorstellen: oben, mit der linken Hand, wenn man Rechtshänder ist, hielt man die Sirene fest, und mit der rechten Hand wurde die Kurbel, ähnlich wie bei solch einem Schneebesen, den man früher benutzte, gedreht.
Eines nachts hat es gebrannt. Die Lúis warf sich schnell einen leichten Mantel über. Damals hatten die Frauen, die älteren Frauen, vielleicht auch die jüngeren, ich weiß das nicht so genau, Bumphosen an. Diese gingen bis über die Knie, waren aus Interlock-Stoff und ziemlich weit geschnitten. Ich kenne die noch, Interlock ist ein dickes, weiches Material, schön warm im Winter. „Liebestöter“ wurden die Unterkleider mitunter auch genannt – mit modischer Attraktivität konnten sie wohl eher nicht glänzen.
Die Lúis ging also mit ihrem leichten Flattermantel und mit ihrer Unterhose drunter los.
Sie holte sich die Sirene – das Feuerwehrhaus war ja unten im Schulhof, nicht weit von ihr, sie musste nur die Kellertreppe runtergehen und schon war sie dort. Sie holte sich also die Sirene raus und lief durchs halbe Dorf, kurbelte kräftig an der Sirene und schlug Feueralarm. Aber auf einmal, es wehte in dieser Nacht ein starker Wind und sie hatte die Sirene recht dicht an sich gehalten, auf einmal verfing sich die Unterhose in der Sirene. So dermaßen in der Klemme und ganz verzweifelt, musste die Lúis stehen bleiben, sie konnte ihre Unterhose ums Verplatzen nicht selber aus der Sirene befreien. Zum Glück waren ja schon die Feuerwehrmänner im Dorf unterwegs um den den Brand zu löschen und fragten sie: „Lúis, warum machst´n nicht weiter? Da oben im Oberdorf müssen die Leut´doch auch wissen, dass es brennt!“
„Ich kann doch net, mei Unnerhose is in de Sirene drin!“
Na ja, es gab ein Gelächter trotz des Feuers; und die Männer zuppelten der Lúis kichernd und feixend die Unterhose aus der Sirene raus, so dass sie weitermarschieren konnte und die Leute wecken, damit sie das Feuer löschen halfen.
Nach den Löscharbeiten
Der „Ebbe Schorsch“ war damals der Lohrhaupter „Brandmeister“ und wohnte gleich hier nebenan in der „Burngasse“, nahe am Feuerwehrhaus. Das war eigentlich nur ein besserer Schuppen, doch es gab ja auch nur die Feuerspritze und keine riesigen Feuerwehrautos wie heutzutage. Auf dem Grundstück vom „Ebbe Schorsch“stand eine Art Mast, daran eine Vorrichtung, mit der die Feuerwehrschläuche hochgezogen wurden zum Trocknen.
Dort werden die Feuerwehrleute nach jenem Brand beim Aufziehen der Schläuche noch herzlich über das Missgeschick der Schönersch Lúis gelacht haben.
Dies erzählte Erika Müller, geb. Rupprecht
3. Linde
Der Platz unter der Linde gibt Kraft.
Diese Linde ist noch ein Baby, weit entfernt von einem Alter von 1000 Jahren. Doch von den 87 Jahren, die sie jetzt hier steht, könnte sie sicher auch schon einiges erzählen. Sie hat als junges Bäumchen die Hände vom kleinen Adam Freund gespürt, der seinem Vater im Jahr 1935 half, sie in die gute Erde hier am Mühlgraben einzupflanzen.
Tonschnipsel aus dem Video-Interview mit Adam Freund.
Gleich hier nebenan stand früher eine Mühle, im Mühlgraben haben Kinder gepatschelt, Vieh stand in den Stallungen und der Lohrbach durchfloss im Tageslicht diesen Hof; eine Holzbrücke in der Frickegasse ermöglichte Menschen und Tieren die Überquerung des Wassers.
Der kleine Adam wurde mit seiner Linde älter. Vor 40 Jahren schreinerte der Nachbar Philipp Uhl die erste Bank, später eine zweite. Vor zehn Jahren baute Siegfried Vogel diese hier, die dritte Bank unter der Linde. Für alle im Dorf, die in den letzten Jahren auf der Hauptstraße hier vorbeifuhren oder gingen, war ein Anblick ganz normal: auf der Bank saß der greise Adam Freund, sein Spazierstock an die Bank gelehnt und an kühlen Tagen den Hut auf dem Kopf. Immer nickte er den Vorbeikommenden freundlich zu. Mit vielen, vielen Menschen führte er hier Gespräche und er gab Wanderern gerne Auskunft über den Weg.
Wie war es früher hier?
Diese Frage beschäftigt seine Urenkelinnen Lia und Lynn. Für sie war es das Schönste, dass der Uropa Adam immer für sie da war, mit ihnen spielte, Fotoalben anschaute von früher. Für ihn kochten sie im Spiel leckere Speisen dort auf dem alten Herd, der zur Dekoration an der Scheune neben der Linde aufgestellt ist. Die beiden Mädchen erkannten, dass ihr Uropa eine Quelle der Erinnerungen war und sie nutzten die Zeit, um in einem Interview mit ihm möglichst viel über früher zu erfahren.
Kürzlich haben wir Lia und Lynn selbst interviewt über ihre Erlebnisse und Erkenntnisse hier unter der Linde.
Das sind einige Statements aus dem Interview mit Adams Urenkelinnen:
- „Hier im Hof, im Sommer, haben wir auf unserem Trampolin mit Freunden übernachtet. Und auf der Terrasse unter dem Tisch, mit Lichterkette. Das war toll.“
- Das allerschönste Fest für Lia war ihre Konfirmation im letzten Jahr, die hier im Hof gefeiert wurde.
- Sie schrubben immer im Sommer den Mühlgraben mit dem Besen sauber, schließlich wollen sie darin baden, kneipen, spielen, den Hund Elsa im Wasser flitzen lassen…
- Ärgerlich und eklig: Menschen, die ihren Unrat wie Zigaretten, Pflaster, Getränkedosen … ins Wasser werfen. „Das mag man dann gar nicht anfassen.“
- „Unter der Linde ist unser Platz der Erinnerung, der Fröhlichkeit, vieler Erlebnisse, einer tollen Kindheit.“
- „Wir werden immer wieder hierher zurückkommen, auch wenn es uns erst mal nach Österreich, ins Allgäu oder irgendwo anders hin zieht.“
- Die Linde wird regelmäßig alle 4, 5 Jahre im Herbst geschnitten und in Form gehalten. Von Thilo Lindenberger, Jamie, Jarosch, Opa Richard… „Beim ersten Mal hat Oma Erika fast geweint.“ Doch der Linde hat die „Operation“ nicht geschadet – im Gegenteil.
- Wenn Lia und Lynn als Greisinnen hier auf der Bank sitzen werden, wird für sie die Veränderung wohl so sein, wie ihr Uropa sie seit seiner Kindheit erlebt hat.
- Was hier unter der Linde so los ist, wenn diese im Jahr 2935 ihren 1000. Geburtstag feiern wird, können sie sich nicht so richtig vorstellen. Das ist ja noch eine Ewigkeit bis dahin.
Uropa Adam ist 2020 mit 96 Jahren gestorben, er hat den Platz unter der Linde folgendermaßen beschrieben:
„Es ist ein Ort der Ruhe, Gelassenheit, Klarheit und gibt Kraft.“
4. Eiche
Stärker als die Dummheiten der Lausbuben.
Die Baumseele, die einstmals in der dahingeschiedenen Kreuzeleiche gewohnt hatte, erzählte von einem Lausbubenstreich, der wohl seinen Anteil hatte an der späteren Niederlage des Baumes gegen den verheerenden Sturm …
Wir haben tatsächlich einen Zeitzeugen jenes Lausbubenstreichs mit wahrscheinlich ernsthaften Folgen gefunden. Die Geschichte kommt heute erstmals an die Öffentlichkeit. Doch mit fast 90 Jahren muss der Lohrhaupter Lausbub heute wohl keine Konsequenzen mehr fürchten …
Hans Eisenacher hat uns folgendes erzählt:
Wir waren gerade „aus der Schule gekommen“, in ´46. Unsere Schulzeit war also zu Ende, und wir waren etwa 14 Jahre alt. Eines schönen Tages, na ja, wir waren Buben, sind wir also draußen bei den Eichbäumen rumgesprungen und wollten halt „etwas machen“. Ich glaube es war sogar mein „Kusseng“ Hans, der Bieberer Schneider, der es zuerst bemerkt hat und uns zugerufen hat:
„Ou, do sinn jo Wespese dinn!“
Gut, die Buben machen sich dann so ihr Bild, und…
„Do mache mir heut emol e Feuer noi!“
Denn die Spechte hatten viele Löcher in den Stamm gehämmert, die Eiche war alt, wie die anderen auch. Es war die erste Eiche, wenn du das Kreuzel raus fährst.
Ja, und dann haben wir halt ein Feuer reingemacht. Die Eiche war ja schon ziemlich hohl. Wir haben dürres Gras gerupft und reingestopft, Holz haben wir auch reingeschafft und es gab ganz schön Rauch und eine richtige Glut im hohlen Stamm.
Wir fragten nach: Waren noch Wespen drin im Baumstamm? Das wäre ja ganz schön gefährlich gewesen, oder?
Ja, das weiß ich heut´ auch nicht mehr so genau, da werden keine mehr gewesen sein. Wenn da Feuer drin war und Rauch, da waren die auch gleich verschwunden. Die wussten auch, was die Stunde geschlagen hat!
Wahrscheinlich wart ihr nicht direkt am Wespennest?
Na, vielleicht war das weiter oben im Baum.
Jedenfalls kam dann zufällig der Opa von meinem Kusseng, dem Steigerwalds Hans, Matthäus hat er geheißen. Er kam also heran und wir Buben haben die Beine in die Hand genommen, das kannst du glauben.
Der Alte hat das Feuer dann ausgemacht. Ich denke, er hat Erde rein geschmissen. Sonst wär die Eiche an dem Tag damals vielleicht schon kaputt gegangen. Wenn´s schlecht ausgegangen wäre, hätte die Eiche den Sturm gar nicht mehr erlebt. Heute würde man dafür ganz schön Ärger kriegen.
Aber die Eiche war stärker als die Dummheiten der Lausbuben.
Im Jahr 1979 ist die Kreuzeleiche dann schließlich einem schweren Sturm zum Opfer gefallen.
Da lag sie nun, die einst mächtige tausendjährige Eiche, wie manch einer sie nennt. Tatsächlich sind die Eichen der Baumgruppe im Kreuzel etwa 400 Jahre alt, was ja auch ein schönes Alter ist!
Was tun mit der gefallenen?
Es wurde uns erzählt, dass aus dem Holz der ehrwürdigen Spessarteiche der gewaltige Schreibtisch im Bürgermeisteramt entstand. Der frühere Bürgermeister Sakschewsky kann sich gut vorstellen, ja hält es sogar für wahrscheinlich, dass sein Amtsvorgänger Rainer Krätschmer diese Idee hatte und in die Tat umsetzen ließ. Jedenfalls erhielt der weithin für seine Tischlerarbeiten bekannte Siegfried Vogel den Auftrag, einen mächtigen Amtstisch für das Bürgermeisterzimmer zu arbeiten.
Antworten auf unsere Fragen dazu wollte der Tischler in einem Fragebogen aufschreiben. Doch kurz darauf verstarb Siegfried. Einige Zeit später fand seine Enkelin diese ausgefüllten Seiten in seinem Nachlass:
Die Kreuzeleichen von Lohrhaupten – 10 Fragen
- Wann/bei welcher Gelegenheit hast du die Eichen zum ersten mal gesehen?Wie viele waren es?
Zuerst gesehen 1958. Es waren 7.
- Welcher Gedanke ist dir dazu in Erinnerung?
Das waren ziemlich die Ältesten von Deutschland.
- Bei einem schweren Sturm (im Jahr 1979) sind zwei der Eichen umgestürzt. Wie hast du davon erfahren? Was hast du gedacht?
Schade drum. Es waren bestimmt die Ältesten.
- Wer hat sich Gedanken darum gemacht, was mit den umgestürzten Bäumen geschehen sollte?
Mein Sohn Thomas, der war Tischler.
- Welche Ideen gab es?
Es sollten davon Möbel gebaut werden.
- Du hast aus dem Holz der Eichen zwei Schreibtische hergestellt. Wer ist mit der Idee/dem Auftrag an dich herangetreten? Was hast du davon gehalten?
Der Bürgermeister Sakschewsky oder Kretschmer.
- War der Auftrag etwas besonderes für dich?
Ja, weil sie bestimmt 700 – 800 Jahre alt waren.
- Was war dir wichtig bei der Anfertigung/Gestaltung der Schreibtische? Wie sollten sie aussehen?
Nach dem Gedanken des Bürgermeisters.
- Wie ließ sich das Holz der „Kreuzeleiche“ verarbeiten? Hatte es eine Besonderheit?
Es war sehr zart und gut zu verarbeiten. Es war ein feinjähriges Holz.
- Gibt es eine Anekdote/eine erwähnenswerte kleine Geschichte/ein Erlebnis/eine Besonderheit im Zusammenhang mit den Kreuzeleichen oder den Schreibtischen?
Der Rest einer Baumleiche liegt heute noch, wo sie damals hinfiel und verrottet so langsam dahin. Er könnte viel erzählen.
Eine kleine Geschichte kennen wir vom eichenen Schreibtisch im Standesamt von Lohrhaupten (er ist kürzlich umgezogen in die Räume der Bücherei neben dem Feuerwehrhaus):
Gesetzte Worte finden war schwer angesichts des kleinen Zappelphilipps. Seine knallrote Fliege am karierten Hemdkragen, die dem festlichen Anlass geschuldet war, ist ihr nur zu gut in Erinnerung. Es war schier unmöglich, die Trauungszeremonie auch nur einigermaßen störungsfrei durchzuführen. Es ist wirklich schön, wenn Kinder dabei sein können. Doch dieser kleine Mann, im Übrigen der Sohn des Brautpaares, schlug alle Rekorde in Punkto Wuseln und Plappern. Kurzerhand rief die Standesbeamtin Ingrid Eppler-Menz den Jungen, knapp vier Jahre alt, zu sich auf den Schoß. Dort schien es ihm tatsächlich zu gefallen, sah die Welt von dieser Seite des mächtigen Schreibtisches doch entschieden interessanter aus als auf dem langweiligen Stuhl in der Reihe davor. Die Standesbeamtin hatte nun wieder alles im Griff und konnte sich auf ihren Text konzentrieren. Auch das Brautpaar konnte endlich den Worten der Trauzeremonie in angemessen ruhiger und feierlicher Atmosphäre folgen.
Nicht viele Menschen erleben wohl die Hochzeit der Eltern aus der Perspektive der Standesbeamtin.
5. Zeder
Spessartbaum mit Migrationshintergrund.
„In meinem Lohrhaupter Garten steht ein ganz besonderer Spessartbaum.“ Als er mir das am Telefon erzählte, konnte ich sein verschmitztes Schmunzeln richtig vor mir sehen.
Es war vor mehr als vierzig Jahren, als Erich Hergert sich anschickte, im fernen Bremen zu heiraten. Erich stammt aus dem Haus in der Dünkelbachstraße 9, er wuchs in Lohrhaupten auf, ging hier zur Schule. Doch schon früh zog es ihn in die Ferne. Er wurde Goldschmied und ließ sich in Bremen nieder.
Es zeigte sich, dass die Hochzeitsfeier damals in der Hansestadt nahe der Nordsee im Wortsinn eine Auswirkung von stattlicher Größe auf unser heutiges Lohrhaupten im Spessart haben sollte.
Ein guter Freund und Kunde des Brautpaares mit dem klangvollen Namen „Meyer zu Erbe“, seines Zeichens Präsident des Bauernverbandes Niedersachsen, war unter den geschätzten Gästen der Hochzeitsfeier. Herr Meyer zu Erbe hatte ein erlesenes Geschenk für die Jungvermählten dabei: einen Eimer mit Erde. Jedoch war in die Erde ein kleines Bäumchen gepflanzt. Eine junge Libanon-Zeder. Sie war ein richtiges Schmuckstück, wenn auch noch winzig. Wohin nun mit dem Winzling dort in der Stadt?
Erich Hergert entschied, den Baumzwerg in den Garten seiner Mutter zu pflanzen. Aus der kleinen Zeder, deren Heimat schließlich der Libanon war, sollte also ein Spessartbaum werden. Anscheinend haben der Spessart und Lohrhaupten sie gut in ihrer Mitte aufgenommen, denn das junge Fräulein ist zu einem stattlichen Baum herangewachsen. Seit 1981 lebt die Libanon-Zeder nun wohl als die einzige ihrer Art zufrieden in unserem Dorf.
Vor dem Hintergrund des Klimawandels mit immer mehr Trockenperioden in unseren Wäldern steht die Forstwirtschaft vor großen Herausforderungen. Die Libanon-Zeder ist wegen ihrer großen Trockenstresstoleranz ein vielversprechender Kandidat für die Anpflanzung alternativer Baumarten in unseren Regionen.
Wer weiß, vielleicht freut sich unsere Zeder im Garten der Hergerts bald über Familiennachzug?
6. Linde
Unsere schöne Linde auf der „Hüerwiese“ – und eine Sage vom schauerlichen „Gebrüttig“
Es war einmal …
Die Seele aus der Linde, die einst an dieser Stelle gestanden hatte, ist inzwischen bei Grünseelchens Freundin, der Frau Linde am Hüssberg, untergekommen. Sie trug beim Baumseelenzirkel die folgende Geschichte bei. Wir haben sie uns von einem lebenden Zeitzeugen neu erzählen lassen:
Hans Eisenacher, der uns schon bekannte Lausbub von fast 90 Jahren, hat uns von der einstigen Linde folgendes erzählt:
Hier stand sie, wo sich der Weg teilt, direkt wo´s zum Kappesgarten geht. So genau kann man das heute auch nicht mehr sagen. Dahinter war die Dreschhalle.
(Anmerkung: diese wurde 1935 im Gebrüttig erbaut)
Da etwa, wo jetzt der Raiffeisen ist,stand die Linde. Und nach hinten raus hatten die Uhle eine „mords“ Wiese. Die „Hüerwiese“ haben sie immer gesagt.
Jedenfalls kamen die Amis dort den Mühlweg runter gefahren. Mit Panzern. Na ja, es war halt Krieg. Das Ende vom Krieg.
Und wir waren Buben und haben natürlich gleich geguckt. Das erste, was die Amis gemacht haben: sie sind mit den Panzern um die Linde herumgefahren. Sie haben dort gedreht, und „alles verreckt gefahren, die Durmel!“ Und dann haben sie die Geschütze der Panzer Richtung Osten gedreht. Die Linde hat ihnen im Weg gestanden, weil das ja eine riesige Linde war. Wenn die Amis schießen hätten wollen, wären sie mit der Linde in Konflikt geraten.
Und dann haben sie als erstes – sie hatten Sägen dabei – dann haben die Amis die Linde umgeschnitten.
Weg war sie! Unsere schöne Linde!
Wir haben nachgefragt: Wart ihr dabei, als die Amis die Linde umgesägt haben?
Nee! Da hast du dich nicht getraut, als die da mit ihren Panzern kamen. Wir haben bloß gemerkt, dass die Linde am nächsten Tag gelegen hat.
Auf der Linde waren immer Hirschkäfer drauf gewesen. Als wir so Bübelchen waren, gab es „mords Hirschkäfer da auf dere Linde“.
Hinter der Dreschhalle und der „Hüerwiese“ (= Hühnerwiese) der Uhle befand sich früher das „Gebrüttich“. Von diesem Ort kennen die Lohrhaupter eine alte Sage, die in verschiedenen Versionen kursiert.
Eine dieser Sagen möchten wir zitieren aus der Festschrift zur Lohrhaupter 900-Jahrfeier, die im Jahr 1957 begangen wurde:
„Die Schöne Unbekannte
Das Gebrüttig (von ahd. pruttelich=schrecklich) oder Brättig hieß eine früher immer mit rotem Sumpfwasser und Schilf bedeckte Stelle ohne sichtbaren Abfluss im Talgrund, aus der jetzt ein Spielplatz geworden ist. Davon weiß die Sage u.a. auch folgende Begebenheit zu berichten:
Vor langer Zeit, als die Kirchweih noch das Hauptfest des Dorfes war, kam einmal eine schöne und vornehm gekleidete Unbekannte zum Tanz. Sie war fröhlich mit der Jugend, verschwand jedoch immer geheimnisvoll kurz vor Mitternacht. Als ihr dies mehrere Jahre gelang, verabredeten die Burschen, die schöne Frau mit List zurückzuhalten. Zu spät merkte sie, worauf es abgesehen war, und sie konnte sich den Tänzern gerade erst entwinden, als die zwölfte Stunde schlug. Bald darauf hörte man von den nahen Sumpfwiesen her furchtbares Wehgeschrei; am nächsten Morgen sah man im Gebrüttig eine große Blutlache: der Wassermann hatte seine ungehorsame Frau getötet.“